125. Etappe

Von Qeparo nach Bunec

In Albanien darf die Gurke noch Gurke sein.

Dunkelgrün wimmeln sie in allen Größen in Holzstiegen wild durcheinander. Ewig brauche ich um mich für eine zu entscheiden. Prüfe, verwerfe. Zu groß, zu klein, zu krumm, die kann man ja nicht schälen, eine jede hat Charakter, welche nehme ich nur? Selten sind sie gerade, nie in Folie eingeschweißt und immer geschmackvoll. Zeit, sich mit dem Thema Landwirtschaft zu beschäftigen. Immerhin ist sie für rund 60 % der 3,4 Mio. Einwohner der Skipetarenrepublik die Lebensgrundlage, die ein bescheidenes Einkommen und die Ernährung

gewährleistet.

Albanien ist schon immer ein Agrarland gewesen. Sieht man von verschiedenen Dienstleistungszweigen und dem wachsenden Tourismus ab, dann ist der Agrarsektor der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Es gibt noch die Förderung und Bearbeitung einiger Rohstoffe wie Chrom, Nickel und Kupfer, ferner von etwas Erdöl. Diese sind aber von untergeordneter Bedeutung.

Allerdings mussten die Leute die „Landwirtschaft“ erst wieder erlernen. In Hodschas Zeiten wurde sämtliches Land in 500 Kooperativen und etwa 50 landwirtschaftlichen Staatsgütern bewirtschaftet. Nach dem politischen Umbruch wurde das Land aufgeteilt in schätzungsweise 440.000 kleine Betriebe mit einer durchschnittlichen Fläche von 1,4 Hektar. Etwas mehr als einem Fußballfeld. Manch einer der „Kolchosniks“ ging, ähnlich wie in Ostdeutschland, leer aus.

Bauern im traditionellen Sinne waren die albanischen Neu-Bauern nur in einem eingeschränkten Maße. Der Begriff „Eng spezialisierter Landarbeiter“ traf wohl eher zu.

Sie arbeiteten beispielsweise als Mechaniker, Zootechniker, Besamer, Melker, Hirte oder Buchhalter in den Produktionsgenossenschaften. Für ihre neuen Aufgaben als Allround-Bauer fehlten ihnen vielfach fundierte fachliche Kenntnisse.

Nun standen sie vor ihren kleinen Parzellen. Maschinen gab es kaum. Hier und dort rettete man einen alten Traktor aus der MTS und nutzte ihn gemeinsam. Die wenigen Mähdrescher waren überflüssig, da das Land zu kleinteilig und oft auch nicht zusammenhängend verteilt worden war. Düngemittel und Pestizide viel zu teuer. Und sie fingen an zu wirtschaften. Wurden zu Selbstversorgern.

Was nehmen wir wahr, wenn wir heute durch die Dörfer gehen? Die Felder sind bestellt. Die Gärten quellen über vor Gemüse. Jeder hat seine eigenen Tiere und hegt und pflegt sie liebevoll. Sie sehen wirklich prächtig aus. Fell glänzt und Gefieder schillert und jedes hat genug auf den Rippen. Noch nie haben wir so viel Gekrähe, Gemuhe, Gegacker, Gegrunze und Gebelle gehört. Der Klang der Glocken an den Hälsen der Tiere, die Rufe, das Schnalzen, die Klickgeräusche der Hirten. Das ist die Musik Albaniens.

Technik kann oder will man sich bis heute nicht leisten. Nur wenige kleine Traktoren verrichten Arbeit. Es wird mit der Hand gesät und gepflanzt und selbst den Schafen wird mit der Schere der Pelz gestutzt. Die Leute wirken nicht abgehärmt, hungrig oder unglücklich. Und ich verspreche, dass ich mir da nichts schönrede. Und ich erkenne auch nicht den westeuropäischen Expansionsdrang. So nach dem Motto „kein Wachstum ist Untergang“. Mehrfach haben wir gefragt. Ob es um Wein, Schafzucht, oder Oliven ging. Man könnte die Produkte verpacken, besser vermarkten und im großen Stil in die Hauptstadt oder nach Westeuropa verkaufen. Man wüsste angeblich wie es geht. Man will es nicht. Irgendwie reicht es. Irgendwie kommt man zurecht.

Und was ist mit den jungen Leuten? Heute sind wir nach Bunec gelaufen. Kommen früh auf dem Campingplatz an.

Lula zeigt uns unser gemietetes Großraumzelt. Sie lebt eigentlich in einem Dorf in der Nähe von Sarande. Ihre Eltern bauen Wein an und Oliven und in den Sommermonaten betreiben sie diesen Platz mit einem Restaurant. Ob sie Ferien habe, frage ich. Schulfrei, kommt die Antwort, während sie ein wenig schlacksig neben mir herläuft. Ansonsten arbeitet sie hier mit, wie alle ihre Geschwister auch. Das ist normal so. Die Klarheit ihres jungen Wesens berührt mich. Der Zwölfjährige, der im klaren Fluss gewissenhaft Muscheln wäscht, ist bestimmt ihr kleiner Bruder.

Luna ist 17 Jahre. Im September kommt sie in die zwölfte Klasse. Danach wird sie nach Tirana gehen, um eventuell Medizin zu studieren. Sie ist gut in Chemie. Aber wer weiß. Sie kann ja noch überlegen, hat ja noch ein Jahr Zeit.