Von Troshan nach Lezhë
Albanien rockt! Soviel ist klar, nach knapp fünf Tagen in diesem abgefahrenen Land.
Unzählige Male drehen wir uns heute innerlich im Kreis, ob der wunderbaren Dinge, die uns hier widerfahren. Es ging schon heute morgen los mit Rekorden. So lange haben wir noch nie geschlafen, so ausgiebig noch nie gefrühstückt, so spät sind wir noch nie los und so zufrieden habe ich meinen kritischen Hahn noch nie erlebt. Er schmunzelt zufrieden, gibt Trinkgeld in vollen Zügen, schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf. Sein liebstes Haar in der Suppe, gibt es hier nicht. Wir setzen ohne Umschweife und einstimmig unsere Herberge Agriturizëm Hylli i Drites - ta ta ta taaa - die Krone auf. Prädikat – die beste unser bisherigen Reise. Unser Zimmer ist geräumig, großzügig und extrem geschmackvoll eingerichtet aus besten Materialien. Holzdecke und Fußboden, eine Glasfront, mindestens vier Meter hoch, schafft fließenden Übergang ins satte Grün, hochwertig geflieste Bäder, Sitzgelegenheiten an genau der richtigen Stelle und alles ist extrem sorgfältig verarbeitet. Hier waren Meister am Werk, hier waren Albaner am Werk. Das Essen bekommt man auf einer kühlen Terrasse serviert, mit einem Ausblick, der zum stillen Träumen einlädt. Und es schmeckt. Es schmeckt! Lauter Kleinigkeiten bringt man auf einer großen Platte herbei und jede einzelne verursacht Miniexplosionen im Mundraum. Was war das denn jetzt? Was habe ich eigentlich gerade gegessen? Fragen wir uns immer wieder staunend.
Prädikat besonders wertvoll. Da hätte sogar unsere Schwägerin Elke, mit ihrem Sinn für Erlesenes und Schönes, ihre Freude daran. Darin sind wir uns einig.
Gegen zehn brechen wir auf und ziehen staunend durch Dörfer. Und hier gleich der nächste Superlativ: Es sind die schönsten unserer Reise. Aus dem einfachen Grund, weil sie quicklebendig sind. Hier kommt niemand nur zum Schlafen hin. Hier sitzen nicht die Alten, vergessen hinter vergilbten Gardinen, und sie sind auch keine pittoresken Überbleibsel aus vergangener Zeit. Ich denke da an unser Reiseziel, das menschenleere Pyrgos in Griechenland. Einzig wohlhabende Nordeuropäer lassen sich hier von albanischen Handwerkern alte Steinhäuser renovieren, um dort zwei mal drei Wochen im Jahr zu urlauben. Ansonsten tote Hose. Aber hier! Hier ist richtig was los. Kleine Betonmischer ächzen ihr monotones Liedchen. Es wird gebaut. Kein Kleintransporter steht hier vor der Tür mit der Aufschrift „Elektro-Hoxha“ oder „Trockenbau-Shehu“. Die Leute können das alles selber.
Auf ungepflasterten, staubigen Dorfstraßen stolzieren Hühner, Esel i-ahen. Es gibt einen kleinen Laden und je nach Größe des Ortes ein, zwei oder drei Cafés. Alte Frauen schlurfen uns auf krummen Beinchen entgegen. Wie wunderschön sie aussehen in ihren Trachten. Weiße, fein bestickte Kopftücher und Röcke tragen sie und darüber eine schwarze Jacke. So etwas hätte ich auch gerne. Kinder spielen auf der Straße. Ein Halbwüchsiger versteckt sich im Gebüsch. Er ist ganz aufgeregt, schaut ständig um die Ecke. Ich habe ihn erwischt. Er raucht heimlich eine. Soviel steht fest.
Und immer wieder werden wir angesprochen. Ein dunkler Mercedes nähert sich uns. Schon von weitem bekomme ich das Grinsen.
„Hähnchen, guck mal, der kommt aus Gera, sieh nur das Nummernschild“, rufe ich lachend. Das Auto hält, getönte Scheiben werden heruntergelassen, ein junger Mann spricht uns an. Auf Englisch. Woher wir kämen und ob es uns in Albanien gefallen würde. Ich berichte brav und wahrheitsgemäß in bestem Thüringisch von unserer Begeisterung. Gelernt ist schließlich gelernt. Er gibt sich zufrieden, will weiter, aber so einfach kommt er mir nicht davon. Nun will ich seine Geschichte hören. Er rückt sie bereitwillig heraus. Er ist geboren in diesem Ort. Hat sich ein kleines Haus gebaut und verbringt jedes Jahr sechs Wochen im Sommer hier. Da hat das Theater in Gera Sommerpause. Er ist als Balletttänzer dort engagiert. Abgefahren oder? Und so geht das den ganzen Tag munter weiter. Scheiben werden heruntergelassen, Passanten befragen uns. Aaaahhh, aus Deutschland, und Gesichter verklären sich. Ja, in Deutschland, da lebt die halbe Familie. Westdeutsche Städtenamen werden genannt und Berufe. Sogar ein Arzt wird mit stolzem Unterton erwähnt. Und am Ende bekommen wir eine Handvoll Oliven geschenkt, nur weil wir aus Deutschland kommen. Es geht hier nicht um uns als Deutsche. Die Albaner haben im zweiten Weltkrieg unter deutscher Besatzung sehr gelitten. Etwas anderes hat diese schlimme Erfahrung überschrieben.
Ich glaube, wir sind wie eine Art stiller Gruß der Ausgewanderten in die Heimat. Und wenn es so ist, dann bin ich das unheimlich gerne