77. Etappe

Von Šibenik nach Grebaštica

Das Reisen mit dem Zug in Kroatien fristet, ähnlich wie in anderen Balkanstaaten, ein Schattendasein. Längst rauschen moderne, gut klimatisierte Reisebusse die meist mit Fördergeldern der EU finanzierten Magistralen entlang. Busbahnhöfe sind Dreh- und Angelpunkte. Was früher der rußgeschwärzte, ölverschmierte Lokführer war, ist nun der coole sonnenbebrillte Busfahrer. Der König des inländischen Transportwesens im hellblauen Hemd.

Der Korrekturleser gibt mal seinen Senf dazu: Martina navigiert sicher Richtung Bahnhof. Die anvisierten elf Minuten sind fast um, trotzdem kein Bahnhof in Sicht. Aber sie ist sicher, sie hat Peilung.

„Huhni, wie stellst Du Dir diesen Bahnhof vor?“

Ich vermute ein pompöses Gebäude aus k.u.k.-Zeiten. „Da ist es“, sagt sie und zeigt auf ein runtergekommenes Drecksteil am Straßenrand. Das ehemalige Hauptgebäude ist längst geschlossen, Wellblechbuden links und rechts davon. Wir queren die Straße und stehen vor den rostigen Gleisanlagen. Sofort fällt uns der Zug – unser Zug auf (es fahren nur zehn täglich - was beachtlich wenig für eine 40.000-Einwohner-Stadt mit Hafen ist). Ein ca. 50 Meter langes Ungetüm, Typ „Titos Balkanziege“, der Motor donnert vor sich hin, obwohl es noch 15 Minuten bis zur Abfahrt sind. Kein Passagier, kein Personal weit und breit. Eine herum sitzende alte Dame frage ich nach dem „Billett“ - sie zeigt freundlich auf den Zug.

Wir betreten das Fahrzeug, vermutlich aus den 60ern. Ich erhoffe klimatisch gekühlte, frische Luft. Nichts da, stickig ist es hier, aber, oh Wunder, die Fenster lassen sich alle öffnen. Schiebefenster... meine Güte, in meiner Jugend haben wir unseren Müll darüber entsorgt. Aber warum läuft der Motor? Dafür gibt es aus meiner Sicht nur eine Erklärung: Der Anlasser muss kaputt sein. Wenn dieser Schrotthaufen einmal aus ist – dann IMMER aus. Der Anlasserwechsel würde sich nicht mehr lohnen. Ab in die Eisenschmelze oder bestenfalls ins Museum.

Wir sitzen und die Balkanziege rumpelt los.

Wir müssen nicht Zug fahren. Es gibt keine Not, keine verschneiten Pässe, keine stark befahrenen Straßen. Wir haben einfach mal Lust, in Kroatien zwei Stationen (fünf Kilometer) dieses hier anachronistischen Verkehrsmittel zu benutzen. Als ethnologische Studien bewerte ich, Huhni sitzt nun wieder am Laptop, diese lustvolle Aktion. Am Ende haben wir die Reise spendiert bekommen.

„Nach Zagreb? Nach Knin? Nach Split?“

Der Fahrkartenverkäufer ist ratlos. Nein, nach Ražine wollen wir, zwei Stationen weiter. Er versteht uns nicht. Ich glaube, wir sprechen den Ortsnamen falsch aus oder er denkt, wir spinnen. Als er es endlich begriffen hat: „Raschin“, ruft er mit dem Ton der Erkenntnis und jaaa wiederholen wir „Raschin“ und noch einmal „Raschin“ vor lauter Glück. Zuckt er die Schultern, wünscht freundlich gute Fahrt und geht weiter. Für zwei Stationen wird man hier nicht abkassiert.

Auch der Bahnhof, den wir drei Minuten später erreichen, besticht durch morbiden Charme. Eine Ruine mit kaputten Scheiben. Und er besticht auch durch einen Bahnhofsvorsteher. In voller Montur steht er da, in pieksauberer Uniform und Schirmmütze. Fesch sieht er aus, finde ich. Das Pfeifen seiner Trillerpfeife gibt dem Zugführer zu verstehen: „Weiter geht’s, oder altes Haus, Du schaffst das schon.“

„Altes Haus, Du schaffst das schon“ entwickelt sich im weiteren Verlauf des Tages zum dominierenden Thema. 19 Kilometer, 360 Höhenmeter hoch und wieder runter. Das ist doch ein Klacks für uns alpengeschulte Fernwanderer. Da haben wir doch ganz andere Dinge gewuppt. Wir haben oberflächlich geplant. Hätten wir uns das Höhenprofil genauer angesehen, wäre uns aufgefallen, dass sich die Höhenmeter-Orgie auf den letzten Kilometern abspielt. In vier Wellen bergauf und in einer einzigen, gerölligen Rutschbahn wieder bergab. Wir hätten eingeschätzt, dass wir voraussichtlich gegen Mittag diesen schwersten Part der Wanderung absolvieren müssen. Bei 32 Grad im Schatten, welche für heute angesagt waren. Wir hätten gesehen, dass kein einziger Baum den Wegesrand säumt und dass wir auch keinen einzigen offiziellen Wanderweg begehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Weg im Nichts endet oder an unüberwindlichen Zäunen oder plötzlich eine Kuhherde vor uns steht - alles nicht unwahrscheinlich. Wenigstens ein bisschen mehr Wasser hätten wir mitnehmen sollen.

Als wir am Ende vom Berg herunter gestiegen sind, fühlen wir uns ausgelaugt.

Im Schatten des „Studenac Market“ von Grebaštica trinken wir eine Orangina. Unsere zehn Kilogramm schweren Begleiter lehnen durchfeuchtet an einem Baum.

„Hähni, hat das noch Spaß gemacht oder war das Tortur?“ frage ich meinen hochroten Begleiter.

„Ich weiß nicht so richtig, Huhni“, sagt er. Und seine Stimme klingt leise und brüchig.

„Wir müssen besser auf uns aufpassen. Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Vor allem Du, Hähni, fast siebzig bist Du.“ Irgendetwas von gerade mal 66 murmelt er, aber das blende ich aus. Ich nehme das Zepter in die Hand. Öfter Pause machen, weniger Kilometer, die Hitze - eine ernstzunehmende Größe. Ich gebe die Direktive der nächsten Wochen heraus,

Somit war es die beste Idee, heute morgen den Zug zu nehmen. So wurden aus den 19 Kilometern 15 und die haben immer noch dicke ausgereicht.