Von Novalja nach Pag
Die kleine Küstenstadt Novalja ist der Ballermann der dalmatinischen Küste. Gestern, als wir hier einritten, ahnten wir das finster. Heute sind wir schlauer.
Insbesondere der Strand Zrce macht das einstige Fischerdorf zum beliebten Urlaubsziel für tausende Partytouristen. Hier steppt der Bär und zwar rund um die Uhr.
Verwundert schleichen wir durch dieses skurrile Kaff. Massen von deutschen Abiturienten auf Abschlussfahrt tummeln sich hier. Die frisch Angekommenen tigern motiviert in riesigen Gruppen zur nächsten Dönerbude. Sie lachen, sie plaudern, sind gelöst, vielleicht erlöst, wollen etwas erleben. Das haben sie sich schließlich verdient nach zwölf Jahren Rudern auf Schlag im Bauch der deutschen Schulgaleere. Jetzt lassen sie es so richtig krachen. Dann gibt es noch die, die schon ne Woche Partymeile hinter sich haben. In Kleinstgruppen schlurfen sie, mit Sonnenbrille und offenen Hawaihemden, durch die Flaniermeile. Bierpulle in der Hand. Fix und fertig. Die Bedauernswerten. Sie können sich ja kaum noch auf den Beinen halten. Wird Zeit, dass sie heimfahren und sich von Mutti aufpäppeln lassen. Die hat ja in der Regel auch diesen Unsinn bezahlt.
„Hähni, könnten die nicht etwas Vernünftiges machen, so zum Abschluss?“ frage ich meinen staunend die groteske Szenerie beschauenden Gefährten. „Eine Alpenquerung fällt mir da spontan ein. Oder mit dem Kajak entlang der polnischen Ostsee.“
„Nein, Huhni, ich glaube, das können sie nicht“, antwortet er mir nach reiflicher Überlegung. „Sie sind jung und sie sind auf der Suche nach der großen Liebe. Sie wollen sich paaren, fortpflanzen und so weiter. Das geht nicht im Kajak auf der Ostsee. Da ist das Angebot zu klein. Und außerdem fließt da nicht der mutmachende, enthemmende Alkohol in Strömen. Das muss so sein, Huhni, das gehört dazu. Sei nicht so streng mit Ihnen. Wir könnten ihre Eltern sein.“ Zähneknirschend gebe ich klein bei.
(Randbemerkung des Korrekturlesers: Schon beim Einmarsch in das große Dorf fiel mir die Unzahl an mobilen und stationären Geldautomaten auf. Bankomat, Cashpoint heißen hier die Dinger. Noch nicht im Zentrum angelangt, bin ich bei 15. Dann gebe ich das Zählen auf. Hinzu kommen noch Exchange-Buden, Wechselstuben, und ich bin vollends ratlos. Später löst sich das Rätsel: Jeder, wirklich jeder besoffene Backfisch und Halbstarke muss und soll die Möglichkeit haben, im trunkenen Zustand mit Papas Geldkarte an jedem Ort der Stadt die dicke Kohle zu ziehen. Morgens gegen fünf Uhr hören wir das Resultat: Gegröle vor unserem Zimmer: Olleee, wir fahrn in Puff nach Barzeloonaa, OllleeOlle.)
Für mich war das nie was. Ich habe Klassenfahrten gehasst und Massenbesäufnisse vermieden.
Und trotzdem habe ich am Ende einen abbekommen, und zwar den besten, den ich mir wünschen konnte.
Heute morgen sind wir zeitig aufgebrochen in die Stadt Pag. Kaum haben wir das quirlige Novalja hinter uns, ist es wieder still. Still und unbeschreiblich schön. Nichts bietet Schutz vor der glühenden Sonne oder vor der kalten Bora. Keine lauschigen Plätze laden zum Verweilen ein. Schroff, karg, berührend verletzlich.
Seitdem ich mich mit dem Fernreisen beschäftige (Google weiß, worauf ich stehe), stoße ich immer wieder auf Christina Türmer. Eine Frau, die 60.000 Kilometer in ihrem Leben gewandert ist. Wandern ist ihr Beruf. Sie verdient damit ihr Geld. Sie wird nicht müde, allwissend zu betonen, dass Landschaft völlig überbewertet wird. Sie reist in aller Regel allein und hört die meiste Zeit Podcasts, um sich die Zeit zu vertreiben.
Landschaft wird überbewertet.
Wie kann sie so etwas sagen, wie kann sie nur? Der Blick über den Fjord vor Pag: blaues Meer umgeben von strahlend weißen Felsen, dahinter die in Wolken gehüllten Berge des Velebit. Der Wind im Gesicht und alles eingebettet in das gleißende Licht der Sonne. Das sind Bilder, die sich tief in meine Seele brennen. Die Welt ist umwerfend schön. Überall.
Heute hat Robert eine gute Tat vollbracht. Eine winzige, etwa bratklopsgroße Schildkröte bemühte sich redlich, die Straße zu überqueren. Das kann dauern und das nächste Auto hätte sie bestimmt erwischt. Der bekennende Tierfreund an meiner Seite hat sie dann ganz vorsichtig am Panzer hochgehoben und sicher über die Straße getragen. Ich bin gerührt. Robert mit einer kleinen, zappelnden Schildkröte in seinen ungelenken Pranken.
Ganz verstehe ich ihn allerdings nicht. Gestern zum Abendbrot hat er vier Würste gegessen. Billigwürste aus den allerletzten Überresten eines geschundenen Schweins. Er trägt gerade seine potenzielle Nahrung durch die Gegend. Er könnte jetzt den Spirituskocher herausholen, das Tierchen zu Wasser lassen und sich ein feines Süppchen kochen. Das wäre total preiswert und volle Kanne bio. Ich glaube, er kommt nicht auf die Idee, weil der kleinen Schildi kein neonfarbener Aufkleber „Reduziert 50%“ auf dem Panzer klebt.