Noch ein Tag in Brseč. Noch ein Ruhetag. Das Tiefdruckgebiet Heinrich beschert uns diesen lehrreichen Zustand. Draußen regnet es Bindfäden. Ich liege gemütlich im Bett, freue mich über das Prasseln des Regens, ziehe mir die Decke über den Kopf, drehe mich noch einmal auf die andere Seite. Gelobt seist Du, Heinrich, der mich zum Müßiggang verdonnert. Neben mir ist die Lage eine andere. Mein Bettgefährte ist seit sieben Uhr hellwach. Stocksteif liegt er auf dem Rücken, lässt angestrengt seine Haare und Fingernägel wachsen, atmet ein und aus. Der Duft von anstrengender Ungeduld umweht ihn. Was für den einen Fluch, ist für den anderen Segen.
Gegen neun pelle ich mich aus dem Bett, ziehe die Badelatschen an (Heinrich, der Schuft hat unsere Wanderschuhe, die wir vor der Haustür vergessen haben, mit Wasser befüllt) und schlurfe in den Konsum gegenüber. Kaufe Kaffee und zwei Hörnchen. Schlüpfe wieder ins Bett und kündige eine ausgiebige Diskussion an, welche über die Vorgehensweise der nächsten zwei Wochen entscheidet. Und zwar im ausufernden, zeitintensiven Konsensverfahren.
„Robert, komm mir also nicht nach fünf Minuten mit ,gut, so machen wir esʻ.“
Die Navigatorin, die Meteorologin, die Managerin dieser Reise stellt die Möglichkeiten vor und gibt sie anschließend zur Diskussion frei.
„Also, Hähni“, beginne ich meine Rede, „folgende Optionen haben wir...“
Wir breiten die Landkarte auf unserer Bettdecke aus.
„Erstens. Wir gehen über die Insel Cres. Ich habe eine Sechstagestour für uns zusammengestellt, die man so für teuer Geld in einem Reisemagazin anbieten könnte. Kein einziger Straßenkilometer, quer durch den unerschlossenen, geheimnisvollen Norden der Insel. Alte Römerstraßen, traumhafte Ausblicke, Übernachtungen im Zelt. Problem: Heinrich. Das geht nur bei ruhiger Hochdrucklage. Alles andere wäre Stress. Ich schlage vor, wir sitzen das Tief aus. Bleiben in Brseč bis die Wetterlage sich bessert. Das kann eine Woche dauern oder auch zwei, dann ziehen wir los.“
Neben mir betretene Stille.
„Variante zwei“, fahre ich locker fort, „wir umlaufen die Kvarner Bucht in kleinen Tagesetappen, das geht auch bei schlechtem Wetter, immer dicht am Rande der Zivilisation. Dann über Krk und Rab und all die kroatischen Inseln mit drei Buchstaben, nach denen im Kreuzworträtsel immer gefragt wird.“
Neben mir ein mittleres Stöhnen.
„Das bedeutet, mindestens zwei Tagesmärsche nach Norden zu gehen.“
„Das ist die falsche Richtung, das kannst Du vergessen“, mault das ungeduldige, vorwärts strebende Wesen neben mir.
Wir einigen uns schnell. Zu schnell. Wir sollten die Entscheidungsfindung zelebrieren, wir sind schließlich im Konsensverfahren.
Morgen nehmen wir den Bus oder wir trampen nach Rijeka, um weiter auf die Insel Krk zu fahren. Am späten Nachmittag werden wir wahrscheinlich im Regen ankommen. So mildern wir das schmerzliche Zurück-in-den-Norden-gehen-Müssen ab. Später werden wir über die Inseln mit den drei Buchstaben wandern – so der vorläufige Plan.
Ich bin froh, dass wir so entschieden haben. Die Tour über die Insel Cres wäre traumhaft schön, würde aber zwangsläufig mit einer langen Fährfahrt nach Zadar enden. Damit wäre Kroatien schon fast wieder Geschichte. Wir haben umgeschnorbelt! Und so bleibt noch etwas Schönes offen. Eine Woche Wandertour auf Cres. Wir kommen wieder. Irgendwann. Vielleicht auf dem Rückweg im nächsten Frühjahr, vielleicht mit Freunden. Geteilte Freude ist doppelte Freude.