Von Kobarid nach Tolmin
Gestern war bunter Abend im Hostel Paradiso in Tolmin. Der Versuch, einen Tagebucheintrag zu schreiben, erstickte schon im Ansatz. Keine Chance. Ich klappe den Deckel des Laptops zu. Man muss die Feste feiern, wie sie kommen.
Seit Tagen sind wir im Hostelrausch. In Slowenien bedeutet diese Art der Herberge eine bestens ausgestattete Gemeinschaftsküche, großzügige Gemeinschaftssitzecke, durchdachte Gemeinschaftsschlafräume mit Sicherheit für Wertgegenstände und ein Minimum an Privatsphäre in der Doppelschlafkoje mit Vorhang, Gemeinschaftsbäder mit Wohlfühlfaktor. Alles modern, pieksauber und auf allerneuestem Stand. Das WLAN hat sogar im Garten Maximalausschlag, auf dem Riesenbildschirm könnte man sich bei Netflix, Youtube oder Amazon Prime einwählen, wenn man denn möchte. Das Sicherheitsfach unter dem Bett lässt sich per Chip-Karte öffnen und verschließen. Der gute, alte Bartschlüssel ist Geschichte, es lebe der Zahlencode.
Wir sind fasziniert vom Gemeinschaftsprinzip auf so hohem Niveau. Während ich im Bad meine frisch gewaschenen Haare kämme, betritt eine junge Französin den Raum. Apart und mit orangenem Lippenstift. Plaudert fröhlich, fragt mit entzückendem Akzent auf Englisch nach dem Woher und Wohin und zieht sich ganz nebenbei splitterfasernackt aus. Schmeißt ihre gesamte Wäsche ins Waschbecken, nimmt ein bisschen duftende Bioseife aus dem Seifenspender und fängt an, ihre Klamotten zu waschen. Sie erkundet mit öffentlichen Verkehrsmitteln Europa. Vier Monate will sie unterwegs sein. In Freiburg hat sie angefangen. Ob ich alleine reise, will sie wissen, und wie lange wir Zeit hätten. Dann ist da noch Ingo aus Österreich. Fast 70. Hat zwei große Reisen gemacht in seinem Leben. Ein Jahr mit dem Fahrrad durch Nordamerika. Ein weiteres ebenso durch Südamerika. Jetzt ist er zu alt. Fährt immer nur noch ne Woche hierhin und ne Woche dahin. Unser Zimmer teilen wir mit vier jungen Leipzigerinnen. Die „machen“ vier Tage den Alpe-Adria-Trail. Sie haben keine Ahnung von Bergen und überhaupt von Wandern. Sie fühlen sich sicher im Schutz ihrer Naivität. Meine Güte, was sie alles mitschleppen. Lippenstifte, Abdeckcreme für Pickel und sogar Kuscheltiere. Ich mag sie. Sie erinnern mich an Hanna. Sie sind in ihrem Alter. Ein herzhaftes „Ruhe im Karton“ gegen 23:30 Uhr (das Gekicher nimmt kein Ende) verkneife ich mir.
Immer an unserer Seite: Lars. Auch er gönnt sich einen Ruhetag in Kobarid und eine Raftingtour auf der Soca.
Die letzte Tour sind wir zusammen gelaufen. Einfache 16 Kilometer auf breiten Wegen. Wir haben gepicknickt, geplaudert und die Zeit verging wie im Fluge. Er ist unser Freund geworden. Am Abend will er für uns kochen. Im Hostel Paradiso in Tolmin.
Mittlerweile ist es 20 Uhr geworden, das Essen war hervorragend, Robert und ich, wir haben den Aufräumdienst übernommen, da betreten zwei kernige Mittfünziger den Gemeinschaftsraum. Eine Tiefkühlpizza unterm Arm und eine Flasche Prosecco in der Hand. „So, jetzt erst einmal eine Vorstellungsrunde. Ich bin Holger und das ist meine Frau Kerstin“, klingelt es in feinstem Thüringisch in meinem Gehörgang. Sie kommen aus Rudolstadt. Schnell sitzen wir an einem Tisch. Ossis eben. Der vertraute Stallgeruch. Viele Anknüpfungspunkte finden wir. Das Theater in Rudolstadt mit seinem Intendanten Steffen Mensching, möge er ewig leben. Weimar, da arbeitet Holger. Und die charmante Sparsamkeit. Wir tauschen uns aus über die günstigsten Hotels auf dem Weg und berichten uns über unsere Glücksgefühle beim Ergattern einer reichhaltigen, preiswerten Mahlzeit. Es ist auch ein Abschiedsabend. Holger und Kerstin gehen weiter in den Norden. Da, wo wir herkamen. Lars hat es übertrieben. Auf der Unterseite seines Fusses prangt eine briefmarkengroße Blase. „Rohes, suppendes Fleisch“, erklärt er uns verzweifelt. Er fährt jetzt mit dem Zug ans Meer. Kuriert den Fuss aus und dann… mal weiter sehen.